Das Leben ist kein Bonihof: Was #occupy mit dem climate youth movement verbindet
Mitten während der “Occupy Hamburg”-Demonstration am 15. Oktober gingen auf einmal hunderte Hände in die Luft. Die Demonstranten winkten mit ihren Händen, ein Sprecher hatte gerade erklärt, dass so bei den “Assambleas” in Spanien stumme Zustimmung ausgedrückt werde. Die Idee griff sofort über, man konnte zusehen, wie schnell Kulturtechniken manchmal wandern.
Zum ersten Mal hatte ich die Handzeichen im April 2009 gesehen, bei der Vollversammlungdes Climate Youth Movement in Bonn. Es waren allerdings nur ein halbes Dutzend Leute anwesend, ich glaube, Anna Keenan erklärte etwas und Jeremy Osborn stimmte zu. Zehn Monate später bei den Vollversammlungen in Kopenhagen waren es dann mehrere hundert, die mit den Händen winkten, wenn sie eine Idee gut fanden. Das war mitten im Konferenzzentrum des Gipfels, später standen dann gerne mal der dänische oder amerikanische Geheimdienst mit Knopf im Ohr drumherum, während die Jugend ihre Positionen diskutierte.
Während der Recherchen für das Buch in den letzten zweieinhalb Jahren begegneten sie mir dann noch beim Castor im Wendland 2010 – schon bei der Vorbereitung in der Blockadefibel von x-Tausendmal Quer, später dann bei den Versammlungen der Demonstranten . (Mein Cousin erzählte mir noch von den basisdemokratischen Zeichen bei der Besetzung der LMU in München.)
Überrascht war ich also nicht von den Handzeichen in Hamburg – überrascht war ich nur, dass sie nun auch in den Medien wahrgenommen werden – als angeblich neue Protestform, so letzten Samstag auf der Aufmacherseite des Feuilletons der SZ, wo sie den Text von Jörg Häntzschel aus New York illustrierten. Das merkwürdige war nur, dass Häntzschel den Protest, seine Techniken und Organisation zwar sehr genau beobachtet, aber behauptet, er stehe abseits der Tradition. Häntzschel schreibt in “Protest ohne 68er”:
“Was sie übersehen ist, dass sich Occupy – zumindest in den USA – formal und inhaltlich ganz bewusst außerhalb der Tradition der Protestbewegungen der letzten 45 Jahre stellt.”
Dabei war es doch gerade in den Protestbewegungen der letzten 45 Jahre, dass die Techniken der basisdemokratischen Konsenfindung gelehrt, weitergegeben und bewahrt wurden – bis sie jetzt von einer neuen Jugendbewegung aktualisiert werden und für ihren Zweck genutzt werden. (Man muss sich nur die lange Tradition der Konsensfindung und der zustimmenden Hände in Wikipedia um zu kapieren, dass die “Twinkles”, blinken oder blinzeln, nichts neues sind)
Was mich an der zentralen These “Occupy außerhalb der Tradition der Protestbewegungen” so wundert, ist, dass sie den Blick verstellt auf ein wichtiges Phänomen: Die Protestbewegung ist breiter als “Occupy”. Grob gesagt, gehören die zwei Seiten “Soziale Gerechtigkeit” und “Ökologische Gerechtigkeit” dazu. Bei Occupy diesseits und jenseits des Atlantiks geht es um ein Aufflammen der Suche nach sozialer Gerechtigkeit, die sich eben am Protest gegen das 1% der Superreichen in den USA und gegen die mit Staatsfinanzen spekulierenden Banken in Europa festmacht. Ich habe in den letzten zwei Jahren die junge Klimabewegung begleitet – der Kampf um ökologische Gerechtigkeit. Beide Protestbewegung passen zueinander wie zwei Seiten einer Münze.
Wie eng die Bewegungen zusammenhängen, sieht man schon daran, wie sehr sich ihre Organisationsformen gleichen. Auch das Modell der Arbeitsgruppen, das die Occupy-Besetzer von New York bis Hamburg nutzen, wird von den Klimakämpfern des Climate Youth Movement schon seit Jahren genutzt. Sie organisieren sich in “Working Groups” und “affinity groups”, Arbeits- und Bezugsgruppen. Und das äußerst effektiv: Das Fachwissen der Aktivisten zum Thema Klimafinanzen, Waldschutz, und UN-Prozess übersteigt das vieler Fachjournalisten. Über Googlegroups laufen die Diskussionen das ganze Jahr, wenn der UN-Tross sich in Bonn, Bangkok oder Panama-Stadt trifft ist immer jemand vor Ort. Aber auch für die ganz praktischen Ding funktionieren die Arbeitsgruppen: Um beispielsweise die selbst-organisierten Jugendgipfel vor den UN-Klimagipfel zu organisieren, die in Nairobi, Bali, Poznan, Kopenhagen, Cancun und dieses Jahr Durban Südafrika stattfanden.
Das wohl wichtigste Werkzeug, das Klimabewegung und Occupy teilen – bzw. gleichzeitig mit Leben füllen, sind die globalen Aktionstage. Damit verbreitet die Bewegung dezentralen Protest – und verleiht ihm zu breiter Wahrnehmung. Was die Occupy-Bewegung am 15. Oktober rund um die Welt sichtbar machte, hatte die Klimabewegung vorgemacht: 2009 sprach CNN von “the most widespread day of political action” über den weltweiten Aktionstag der Kampagne 350.org. Damals organisierten im Jahr 2009 Freiwillige 5.200 Events in 181 Ländern. Manchmal kamen nur ein Handvoll, anderswo, wie zum Beispiel in Addis Abeba, gleich 15.000. Ein Jahr später waren es beim zweiten Aktionstag schon über 7.000 Events in 193 Ländern.
Was ich persönlich gerade am spannendsten finde, ist, dass beide Bewegungen gerade eine Taktik entdecken: Orte besetzen. Für die abstrakten Probleme (Klimawandel, Finanzkrise), werden ganz klare Orte gesucht – und zwar rund um die Welt. Mir hat das Konzept schon in Kopenhagen Joshua Kahn Russell, einer der unglaublich guten Organisatoren der Jugend bei den UN, erklärt. Vor zwei Wochen hat er dazu ein ganzes Magazin veröffentlicht: “Finding the Frontlines” ist das Motto. Die Front der Finanzkrise: Wall Street; die Londoner City; EZB Frankfurt oder HSH Nordbank, Hamburg. Die Front der Klimakrise: Für Joshua, war das jahrelang die Arbeit mit den First Nations, so organisierte er im Sommer die größte AKtions des zivilen Ungehorsam in den USA: 1200 US-Bürger wurden vor dem Weißen Haus verhaftet, um gegen eine Ölsandpipeline von Kanada (aus dem Territorium der First Nations) nach Texas zu protestieren. In Deutschland ist die Frontline der Anti-Kohle-Protest in NRW und der Lausitz oder der Anti-Moorburg-Protest in Hamburg. Fortführung der Anti-G8 Naomi Klein: Schlagt Wurzeln.
Wenn man schon Occupy und die Klimabewegung vergleicht, dann muss man auch sagen, dass Occupy gerade das Moment der Überraschung unglaublich gut nutzt! Überraschung – weil auf einmal eine globale Protestbewegung sichtbar wird – aber vor allem, weil sie sich den Forderungen verweigert. Erstmal nichts fordert, sondern sich festsetzt. The Onion brachte den Witz klar zu Punkt: “Die Nation wartet darauf, dass die Protestierer ihre Forderungen klar stellen, damit sie endlich ignoriert werden können.”
Das Problem ist ja nicht mangelnde Erkenntnis, sondern ein Handlungsproblem. Es mangelt nicht an Ideen, wie man Europa oder die Welt mit 100 Prozent erneuerbarer Energie versorgen kann oder die Finanzmärkte so begrenzt, dass sie wieder ihrer sinnvollen Arbeit nachgehen können. Attac schreibt das eine seit Jahren auf, Herrmann Scheer und das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt haben das andere längst durchgerechnet. Es mangelt nur an Willen, diese Ideen umzusetzen. Und da ist es vielleicht nicht unklug, erstmal nichts zu fordern, sondern nur zu protestieren und zu sagen: “Wir kommen, um zu bleiben”.
Noch ist die Occupy-Bewegung jung, neu und aufregend. Wenn in sechs Monaten die Medien daran gewöhnt sind, wird es schwerer werden. Das merkt die Klimabewegung schon lange: Sie hatte ihr High vor und in Kopenhagen, jetzt wartet sie auf die nächste Welle großer öffentlicher Unterstützung – die eben Occupy gerade trägt.
Nochmal ganz grundsätlich – Wovon handelt der Protest? Wie hängen Occupy und Klimabewegung zusammen? Harald Welzer schreibt das im Vorwort zu “Wir sind jung und brauchen die Welt auf” – auch wenn Occupy zu dem Zeitpunkt noch gar nicht existierte. Es geht um die multiplen Krisen und den sichtbar werdenden Generationskonflikt des 21. Jahrhunderts:
Die Aktivisten eint vor allem, dass sie jung sind, und um ihre Zukunft besorgt. Nicht nur um ihre eigene, sondern um die der Überlebensbedingungen der Menschheit insgesamt. Ihre Suche gilt demgemäß der verlorengegangen Zukunftsfähigkeit, und hier vor allem der Bekämpfung eines Lebensstils und einer Konsumkultur, die Umweltfolgen in einer Weise zeitigt, dass das Klimasystem aus den Fugen zu geraten droht. Boese schreibt aber kein weiteres Buch über den Klimawandel (davon gibt es ja auch genug), sondern eines über die Entstehung einer politischen Gegenbewegung gegen die globale Kultur der Verantwortungslosigkeit. Dass diese Gegenbewegung vor allem von jungen Menschen getragen wird, ist kein Zufall: denn sie sind es ja, die noch eine Zukunft zu verlieren haben. Und sie sind es auch, denen das Internet und die sozialen Netzwerke nicht nur Kommunikations-, sondern Organisationsmedien sind.
PS: Bemerkenswert ist, dass der Konsens der Gewaltfreiheit in beiden Bewegungen tief verwurzelt ist, und sich gleichzeitig auf sehr kurze Formeln bringen lässt, so wie hier: “Occupy Hamburg Werdet aktiv – friedlich!”
PPS: Paul Hawken, legendärer Öko-Unternehmer und Stewart Brands Nachbar, erzählt schon seit ein paar Jahren: auf YouTube.
Er erklärt den Zusammenhang von sozialer und ökologischer Gerechtigkeit so gut wie kaum ein anderer.
[...] erstritten, die gigantische Pipeline KeystoneXL in den USA aufgehalten und mischen bei den Occupy-Protesten mit. Wir halten Sie auf dem Laufenden, wie es mit der internationalen Jugendbewegung weitergeht. [...]
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6 Dec 11 at 01:10