“Lasst uns die Generation sein, die die Tyrannei des Öls beendet”
Manchmal kommt der Wandel viel schneller als man glaubt. Als ich am 5. November in der FAZ-Sonntagszeitung über die Menschenkette rund ums Weiße Haus schrieb, ahnte niemand, dass vier Tage später Obama die KeystoneXL-Pipeline verschieben würde. Es war ein überraschend schneller Sieg: Am Sonntag umzingelte eine Menschenkette von Klimaaktivisten das Weiße Haus, um gegen die Ölsand-Pipeline “Keystone XL” von Kanada nach Texas zu protestieren. Nur vier Tage später schrieb Umweltautor Bill McKibben, Anführer der Allianz gegen die Pipeline, in seinem Blog: “Ähem, wir haben gewonnen. Ihr habt gewonnen.” Da hatte gerade die Obama-Regierung entschieden, die umstrittene Pipeline erneut zu prüfen. Donnerstag Nacht verkündete das Außenministerium, man werde Alternativen für die Route der Röhre untersuchen und nannte dabei explizit auch den Klimawandel als Entscheidungsgrundlage. Damit verschiebt sich die Entscheidung über den sieben Milliarden Dollar teuren Bau mindestens bis ins Jahr 2013, also nach die Präsidentschaftswahlen 2012. Es könnte durchaus sein, dass die Verzögerung das Projekt vollständig unrentabel macht.
Die Klimaaktivisten hätten sicherlich lieber gesehen, dass Barack Obama das Projekt komplett streicht. Aber trotzdem überwog die Freude, einen Sieg errungen zu haben, den selbst Medien wie die New York Times und Experten der Energiebranche noch vor wenigen Wochen für sehr unwahrscheinlich hielten. Es galt als sicher, dass die Pipeline bis Ende diesen Jahres genehmigt werde. Doch den Aktivisten war es gelungen, innerhalb weniger Monate entscheidendes politisches Gewicht in Washington zu erringen: Im August hatten sich 1253 Menschen vor dem Weißen Haus verhaften lassen, am vergangenen Sonntag umrundeten über 10000 Demonstranten Obamas Amtssitz.
Für den Text in der Sonntagszeitung hatte ich nochmal ein Skype-Interview mit Joshua Kahn Russell geführt, einem der gewieftesten Organisatoren der Klimakämpfer. Das Interview war spannend und viel zu lang, um es in der FAZ unterzubringen, deswegen jetzt hier nochmal in voller Länge:
Wo warst Du in den letzten Wochen?
Joshua Kahn Russell: In San Francisco, in Oakland, Cleveland und Cincinatti, Ohio. Die Interaktion zwischen Occupy Wallstreet und der Klimabewegung schafft einen interessanten Moment.
Was denkst Du von Occupy Wallstreet?
Es ist total explodiert, obwohl es gar nicht geplant war. Ich dachte, dass Occupy eine richtig schlechte Idee ist. Sie haben mich im August gerufen, um ein Training zu machen. Wir haben im letzten Jahr schon x-mal Demos und Märsche gegen die Wall Street organisiert. Die sind alle verpufft. Der Unterschied von Occupy Wall Street ist, dass sie die Protestcamps dauerhaft aufgebaut haben.
Jetzt denke ich, dass es eine schlechte Idee ist, die zum richtigen Moment kam und das richtige Ziel hat. Denn vielen Menschen in den USA geht es schlecht und sie wissen, dass dafür nicht Sündenböcke wie Einwanderer, die Regierung oder Regulierung verantwortlisch sind, die sonst von der Rechten vorgeschoben werden. Bei Occupy sind nicht in erster Linie “Aktivisten” dabei, sondern Mütter, Marines und Soldaten – viele verschiedene Gruppen aus dem politischen Spektrum. Eine populistische Bewegung.
Wo liegt der Unterschied zwischen Occupy Wall Street und der Klimabewegung?
Occupy ist eine Bewegung und keine Kampagne. Das klügste, was sie getan haben, war keine Forderungen zu stellen. Jetzt sind sie ein großes Zelt, unter das auch pointiertere Kampagnen passen. So wie die gegen die KeystoneXL-Pipeline und die kanadischen Teersande, die die amerikanische Klimabewegung gerade antreibt. Die Occupy-Bewegungen wirken wie ein Turbolader für unsere Kampagne.
Occupy schafft die Möglichkeit für die amerikanische Linke, bestimmte Ziele zu verfolgen, beispielsweise allgemeine Krankenversicherung und eine neue ökonomische Politik. So gewinnen wir: Nicht mit dem Klima als Kern der Bewegung. Wir werden nie Klimagesetzgebung durchsetzen, solange unser Kongress weiter so schlecht funktioniert wie jetzt. Und wir werden auch nicht gewinnen, wenn nur für das Klima gestritten wird. Wir gewinnen, wenn es eine breite Plattform gibt, die eher von Sorgen um die Wirtschaft und Gesundheitsversorgung angeführt wird. Sie kann eine neue politische Ära einläuten. Davon wird das Klima ein Teil sein. Deswegen ist es für Klimaretter wichtig, die Occupy Bewegung zu unterstützen und zu prägen.
Was muss dafür passieren?
Wir müssen das Spiel ändern. Es gibt ein tolles Zitat von Tom Hayden: “Wandel kommt ganz langsam. Außer wenn er schnell kommt.” Solch einen Moment erleben wir gerade. Wenn jemand vor einem Monat gesagt hätte, “Die Banker verdienen keinen Bailout. Sie gehören ins Gefängnis und zwar ohne Kaution” dann wäre das nie im Fernsehen zu sehen gewesen und kein Teil der Diskussion im Mainstream gewesen. Aber jetzt ist auf einmal Konsens. Und zwar ohne dass dafür jahrelange, methodisch genaue Kampagnen nötig gewesen wären. Das ist ganz schnell passiert – genau darin liegt die Kraft und das Potential von sozialen Bewegungen.
Was haben Occupy und die Klimabewegung von der amerikanischen Rechten gelernt?
Die Konservativen haben in den letzten Jahren gewonnen, weil sie das Zentrum der politischen Debatte, die sogenannte Mitte, nach Rechts verschoben haben. Wir haben in den letzten Jahren soviele Rückschritte gemacht, gerade beim Klima. Wir konnten 2007 nach dem Al Gore-Film eine sinnvolle Debatte führen, wie man den Klimawandenl am besten beikommt. Aber danach schwang das Pendel ganz weit nach rechts, so dass wir in den USA wieder darüber debattieren müssen, ob der Klimawandel wirklich stattfindet. Wir stecken in Debatten festen, ob er wirklich von Menschen ausgelöst wurde und ob wir überhaupt etwas dagegen tun können. Aber dieser Rahmen fängt jetzt an sich zu bewegen. Und das liegt an Occupy, auch wenn es an der Wall Street nicht direkt um das Klima geht. Aber unsere Wirtschaft und der Klimawandel hängen eben sehr eng zusammen. Das ist jetzt unsere Chance, die Debatte so zu verschieben, dass wir wieder sinnvoll über den Klimawandel sprechen können.
Noch beim letzten Klimagipfel in Cancun sagten die Experten, dass man frühestens 2018 von Amerika eine nennenswerte Klimagesetzgebung erwarten könnte. Gilt das immer noch?
Da kann jeder raten. Das besondere bei sozialen Bewegungen ist, dass sie die Gesetze der Physik verändern. Nach linearem politischen Denken sind Klimagesetze in den USA bis 2018 nicht möglich. Man guckt dafür, wo man jetzt steht, wo man hinwill und wie lange diese Schritte dauern. Das ist zutreffend, solange es nicht eine allgemeine, populäre Unruhe gibt. Aber bei sozialem Protest kommt der Wandel nicht linear, sondern exponentiell. Das ist sehr aufregend, sehr launisch, sehr flüchtig und schwierig zu planen. Dafür braucht die Klimabewegung eine schnelle Lernkurve, die sich auf die verändernen Umstände einstellt. Dazu braucht es eine Vision und das ist ganz anders als eine typische Kampagne.
Liegt darin der Reiz des zivilen Ungehorsams?
Ja. Normalerweise fängt man an Punkt A an und will zu Punkt B, man arbeitet rückwärts, setzt sich die ersten Ziele, um Zwischenerfolge zu haben und eskaliert dann langsam. Wie anders das jetzt läuft, sieht man an der Teersand-Pipeline. Bevor wir die Kampagne Anfang des Jahres begonnen haben, galt sie im Weißen Haus als beschlossene Sache. Als sich 1200 Leute vor dem Weißen Haus verhaften ließen, die Farmer, Wissenschaftler, Mütter, Ureinwohner und Priester waren, hat das die Möglichkeiten komplett verändert. Das ist exponentieller Wandel. Deswegen ist ziviler Ungehorsam gerade für viele sehr attraktiv.
Wie unterscheidet sich das von der traditionellen Umweltbewegung?
Sie hat eine lange Geschichte, in der sie das gefordert hat, was sie bekommen konnte. Aber was wir gerade in der politischen Arena bekommen können, ist überhaupt nicht das, was wir brauchen, um zu überleben. Jetzt können wir mehr verlangen. Wir sind nicht mehr Geiseln von dem, was in Washington als “politisch realistisch” gilt. Wenn ich Strategie Trainings gebe, teile ich immer ein Zitat von dem brasilianischen Aktivisten Paolo Freire: “Strategie fragt, was wir heute tun können, damit wir morgen das tun können, war wir heute nicht können.” Diese Frage ist ganz wichtig: Wir sind hyper-realistisch und pragmatisch für das Heute, aber wir wissen auch, dass wenn wir Millionen Menschen auf die Straße bringen, das Morgen ganz anders sein kann. Das ist unsere Chance.
Was wird der nächste Schritt sein?
Wir eskalieren weiter in freundlichem, aber bestimmten Ton. Ende November werden Menschen in ganz USA, angeführt von ehemaligen Leitern der Obama-Kampagne 2008 einen Tag lang die Büros von Obamas Wahlkampfteam “Organizing for America” übernehmen. Das ist nämlich der erste Zeitpunkt, an dem Obama über die Pipeline entscheiden kann. Ihre Botschaft an Obama ist:
Wir haben nicht nur an die Versprechen geglaubt, die du 2008 gegeben hast. Wir haben auch in Deinem Namen Versprechen gemacht. Wir werden dafür sorgen, dass diese Versprechen erfüllt werden. Wir wissen, dass Du dafür Hilfe brauchst, und dafür werden wir Deine Büros nutzen. Wir werden unsere Anrufe machen, die Computer nutzen, Telefonketten starten, um die Pipeline zu stoppen. Wir helfen Dir, die Wahlversprechen zu nutzen.
Das ist der Plan.
Ich frage mich in welche Richtung sich die US Ökopolitik angesichts der desolaten Wirtschaftslage noch in den nächsten Jahren entwickeln wird. Nach einem Konsens sieht es ja kaum aus.
Max
19 Nov 11 at 18:09
Hallo Max,
Konsens würde ich auf keinen Fall erwarten. Da die finanziellen Kräfte sehr ungleich verteilt sind, würde ich einige sehr pointierte Konflikte ähnlich wie der um die KeystoneXL-Pipeline erwarten. Vor allem wohl gegen die unkonventionellen Erdgasfunde (Fracking) und gegen das Mountaintop-Removal. Ich glaube, die Hoffnung der Klimaaktivisten ist es, den Occupy-Schwung zu nutzen um den politischen Konsens Richtung Klimaschutz, Erneuerbare Energien und gegen Fossile Energien zu verrücken. Und dann mit einem wiedergewählten Obama das auch in ein Klimagesetz und Unterstützung der UN-Klimagespräche zu verwandeln. Aber bis dahin ist es noch weit und das ist eine harte Nuss…
admin
20 Nov 11 at 23:14
[...] Sie haben mit einem kleinen Elefanten eine Klima-Steuer in Australien erstritten, die gigantische Pipeline KeystoneXL in den USA aufgehalten und mischen bei den Occupy-Protesten mit. Wir halten Sie auf dem Laufenden, wie es mit der [...]
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6 Dec 11 at 01:07